Theater besucht Objekt
In der Inszenierung der Oper Christophe Colomb am Theater Lübeck spielt die Nachbildung eines Objektes aus der Völkerkundesammlung eine wichtige Rolle. Es handelt sich um eine Götterfigur der Taino-Indianer, die als direkte Folge der „Entdeckung“ Amerikas von den europäischen Kolonialherren ausgelöscht wurden. Dieses Objekt stammt allerdings nicht von Kolumbus selbst, sondern wurde erst 400 Jahre später von dem Lübecker Marineoffizier Titus Türk während eines Einsatzes in der Karibik - zusammen mit anderen archäologischen Artefakten - erworben. Mit der Person seines Sammlers, der ein typischer Vertreter der Kanonenbootpolitik des deutschen Kolonialreiches war, aber ebenso wichtige Aufgaben in Lübeck erfüllte, wird dieses Objekt auch zu einem kolonial- und stadtgeschichtlichen Zeugnis.
Die Anfertigung eines Requisits auf Grundlage dieses vielschichtigen Objektes wirft Fragen auf: Darf ein Theater, das den Kolonialismus anprangern will, solch ein heiliges Objekt überhaupt nachbilden? Oder tut es der dargestellten Kultur damit nur erneutes Unrecht an? Wie könnte eine angemessene Präsentation solcher von uns nur lückenhaft verstandenen Kulturen und Objekte in einem europäischen Theater oder Museum überhaupt aussehen? Tatsächlich erhebt die Inszenierung keinesfalls den Anspruch, die indigenen Kulturen zu verstehen oder für sie sprechen zu können. Der Satz „Ma c’ubah than“ (Wir verstehen Eure Sprache nicht), der das Bühnengeschehen von Anfang bis Ende durchzieht, macht dies mehr als deutlich. Und auch das Objekt selbst, das in den Videoprojektionen in immer neuen Erscheinungsformen auftaucht, wird durchaus in seiner Vielschichtigkeit und Gebrochenheit erkennbar. Wenn Kolumbus schließlich vor dem Eingang zur Völkerkundesammlung mit seinem Gewissen konfrontiert wird, dann ist damit ein klarer Auftrag für die ethnologischen Museen der Zukunft formuliert.
Während das Original in seiner Ursprungskultur möglicherweise nicht nur als heiliges Objekt, sondern auch als eine Wesenheit mit einem eigenen Willen galt, bleibt das Requisit im Verständnis unserer Kultur nur eine unbelebte Kopie. Allerdings wurde es durch den wiederholten Einsatz auf der Bühne mit einer ganz eigenen Bedeutung aufgeladen, und so zu einer anderen Art von Original. Durch einen Besuch des Requisits in der Völkerkundesammlung, durch seine Begegnung mit dem Original und anderen Objekten, und schließlich durch seine symbolische Inventarisierung, Ausstellung und Einlagerung wollen wir zum weiteren Nachdenken über Themen wie Authentizität und Materialität, Kunst und Wissenschaft, Heiligem und Profanem sowie Ritual und Bühnenperformance anregen.
Blick in die Museumsdatenbank: Die reale Nachbildung vor dem virtuellen Original wirft interessante Fragen von Authentizität und Medialität auf.
Bibliothek: Bilder und Texte illustrieren die Wissensräume, in denen das Original und die Nachbildung verortet sind.
Fotoraum: Perfekt ausgeleuchtete Aufnahmen vor einem einfarbigen Hintergrund lösen Ethnographica aus ihrem ursprünglichen kulturellen Kontext und erschließen sie für den musealen Gebrauch als Kunstwerke oder Studienobjekte.
Die Nachbildung mit der Inventarkarte des Originals: Durch Vermessungen, Materialbestimmungen, Datierung und die Dokumentationen der kulturellen Bedeutung sowie Erwerbsumstände werden die Objekte zu „Wissensdingen“.
Magazin: Neben Ausstellungen und Forschung ist auch die dauerhafte Bewahrung eine Kernaufgabe der Museumsarbeit. Durch Sakralobjekte und Artefakte vernichteter Kulturen werden die Magazine ethnologischer Museen nicht nur zu einem Archiv der Weltkulturen, sondern gewissermaßen auch zu heiligen Stätten und zu Mahnmalen für die fatalen Folgen des Kolonialismus.
Ibejis: Die Replik als profanes Unikat zwischen seriell gefertigten Sakralobjekten aus Westafrika offenbart die Probleme, die entstehen, wenn wir unser Verständnis von Kunst und Authentizität auf andere Kulturen projizieren.
Interkultureller Dialog: Zufällige Begegnungen im Magazin aber auch bewusste Kombinationen von Objekten in Ausstellungen regen uns zum Vergleich und letztlich auch zum besseren Verständnis verschiedener Kulturen an.
Ausstellung: Durch die Platzierung der Replik in einer Vitrine in der Museumswerkstatt erfährt das Objekt eine weitere Form der Aufwertung. Ein Tropenhelm und die Figur eines Massai-Kriegers im Hintergrund, beides Relikte früherer Ausstellungen, verweisen auf die koloniale Vergangenheit ethnographischer Museen und die wechselhaften Menschenbilder, die unsere Ausstellungen damals wie heute produzieren.
Begegnung: Im Vergleich mag das größere und detaillierter gearbeitete Requisit auf einen uninformierten Betrachter eindrucksvoller als das Original wirken.
Materialität: Unterschiede werden erst durch das Material und sein sichtbares Alter deutlich. Aus der Perspektive vieler indigener Kulturen besteht allerdings kein so simpler Zusammenhang zwischen der Materialität eines Objektes und seinem ökonomischen oder religiösen Wert.
Ein Abschied: Bis auf Weiteres kehrt das Requisit ins Theater zurück. Vielleicht könnte es nach Ende der Spielzeit als ein transkulturelles Rezeptionsobjekt auch einen dauerhaften Platz in der Sammlung finden.